Lebensgewohnheiten und Riten
Die Sippe
Ningmolhama ist das Wort fr
Verwandte und umschliesst alle Angehrigen einer Sippe. Hier lebt man, feiert man Feste
und jeder hat seinen Beruf.
Zu diesem Familienkreis gehren die
Grosseltern und Eltern, die Geschwister der Eltern samt Kindern und Enkelkindern,
Schwiegershne und Schwiegertchter, Nichten und Cousinen. Alle, diese leben zusammen.
Meist sind die Sippen zueinander freundlich
und folgen gerne den Einladungen, wenn Feste gefeiert werden. Jede Sippe hat einen
bestimmten Rufnamen, wie "die Freigiebige" oder "die Geizige".
Jede Familie hat noch eigene Gesetze, die
erfllt werden mssen. Durch die Heirat kommt der junge Mann in die Familie seiner Frau.
Fr ihn ist es usserst wichtig, sich willenlos in ihren sozialen Rahmen einzufgen.
Hier ist seine Bereitschaft zur Integration usserst wichtig. Das Glck der jungen Ehe
hngt auch heute davon ab, ob sich der junge Mann unterordnen kann.
Die Alten geben bei den Festen der Sippe den
Ton an. Einige Mnner sitzen bei den Biertrgen, andere bettigen die Trommel, whrend
die Frauen die Mnner mit gut gekochtem Fleisch bedienen.
Das Alter
In Ehren gehalten wurden die Alten nur so
lange, wie sie berall mitmachen konnten. Reichten ihre Krfte fr die Jagd nicht mehr
aus, liess man sie sterben. Sie blieben des fteren alleine und wurden nicht mehr
gengend mit Wasser und Nahrung versorgt. Schlussendlich wurden sie von der Sippe ganz
verstossen.
Die Geburt
Nach Auffassung der Lenguas hat das
Neugeborene in den ersten 8 Tagen seines Lebens noch keine Seele. Die berzhligen
Kinder wurden schon in den ersten Tagen nach der Geburt gettet. (Es kann sich noch keine
Seele am Tter rchen.) Der umherziehende Jger und Sammler konnte nur soviel Hab und
Gut besitzen, wie er tragen konnte. Dazu gehrten auch die Kinder. Die Lengua hatten
daher kaum mehr als zwei Kinder, die brigen wurden kurz nach der Geburt gettet (meist
mit Sand erstickt).
Der Prozess des Menschwerdens
Die bergnge vom Baby zum Mann oder Frau
werden vom Indianer bewusst erlebt und mit Ritualen gefeiert.
8 Tage alt: das Baby bekommt eine Seele
8 Jahre alt: das Kind bekommt einen Namen
Knabe 13jhrig: vom Kaben zum jungen Mann
Jngling 18jhrig: Aufnahme in die Reihe
der Mnner
Mdchen 15jhrig: das Mdchen wird
heiratsfhig
Das Ohrenfest (8 Tage alt)
Das Baby wird am achten Tag beim Feiern des
Ohrenfestes als Glied in der Sippe aufgenommen und darf von nun an von keinem mehr
gettet werden. Es hat von nun an eine Seele, den Valhoc. Die Ohrlppchen
werden vom Grossvater mit einem Kaktusdorn durchbohrt. Der Stachel bleibt dort, bis die
kleine Wunde ausgeheilt ist.
Aus Respekt vor der Seele, dem Valhoc, welche
das Baby jetzt hat, wird es mit grosser Ehrfurcht behandelt. In der Erziehung wendet die
Mutter keine Gewalt noch krperliche Strafe an. Das "Innere", die Seele des
Kindes darf in keiner weise beleidigt oder verletzt werden.
Das Namenbesttigungsfest (8 10 Jahre
alt)
In die Ohrlppchen der Knaben wird ein
zurechtgeschnitztes kleines Kltzchen geschoben. Bei diesem Fest soll der Name des Kindes
besttigt werden. Bis jetzt wurde der Sohn nur Sepe "Sohn" oder
das Mdchen Sacoc genannt. Bei diesem Fest bekommt das Kind einen persnlichen,
zu ihm passenden Namen. Weinte der Knabe oft, so erhlt er z. B. den Namen Sepe Apwinams
"weinender Knabe". Man achtet aber auch auf die Leistungen der 8 bis
10-jhrigen Kinder. Vielleicht hat das Mdchen schon den ersten Lendenschurz aus
Rehleder hergestellt oder vielleicht hat der Knabe bestimmte Erfolge beim Jagen
aufzuweisen. Alle freuen sich mit der Altersgruppe mit.
Die gefeierten Kinder setzen sich im Kreis
auf den Boden. Mnner und Frauen tanzen in froher Stimmung um sie herum. Dieser Teil des
Festes wird vom Huptling angefhrt. Weil es ein grosses Fest ist, werden auch andere
Drfer eingeladen. Hierbei wird viel gegessen und getrunken. Man unterhlt sich
darber, was wohl aus dem Knaben werden knnte, ob ein Huptling, Schamane oder
erfolgreicher Jger.
Auch die Eltern ussern und hegen ihre
geheimen Wnsche: "Die Eltern erwarten von ihren Kindern, dass sie spter in der
Sippe etwas leisten knnen; dass ihre Kinder von der Sippe nicht etwa bescholten oder gar
verachtet werden; sondern geachtet und auch gelobt. Sie mchten auch gerne, dass sich
einer der Knaben heraushebt und eine Autoritt wird."
Das Bestimmungsfest (Knabe, 13 15 Jahre)
Dieses Puberttsfest wird durchgefhrt, um
das Heranwachsen des Knaben zu feiern. Bis zu seinem 12. Lebensjahr steht der Knabe unter
der Obhut der Mutter. Von diesem Fest an bernimmt der Vater oder ein Onkel die weitere
Erziehung. Zusammen mit ihm darf er auf die Jagd gehen und erlernt alles, was ein Mann
wissen muss, um spter seine Familie ernhren und beschtzen zu knnen.
Die Eltern achten darauf, dass bei diesem
Fest die Huptlinge anderer Sippen zugegen sind. Die geladenen Huptlinge ermutigen die
Knaben, grosse Mnner unter den Lenguas zu werden.
Beim Fest werden von den Jungen Wettkmpfe,
wozu auch der Ringkampf und Wettlauf gehren, ausgetragen. Ihre Kraft, Geschicklichkeit
und Schnelligkeit knnen sie unter Beweis stellen. Die Trommel Vaynca
hrt man whrend der ganzen Festtage durch die Weiten des Chacobusches hallen.
Den Abschluss bildet ein grosses Trink- und Essgelage.
Das Wiederbelebungsfest (Junge, 18 20
Jahre)
Mit diesem Fest wird das Erwachsenwerden und
die Aufnahme als vollwertiges Glied in der Reihe der Mnner gefeiert. Zum ersten Mal darf
er sich zu den anderen Mnnern an den Flaschenbaumtrog setzen und mit ihnen das
Algorroboschotenbier trinken und aus der Pfeife rauchen.
Danach muss er einen Betubungsrank zu sich
nehmen, der bewirkt, dass er schwach und ohnmchtig wird. Den Bewusstlosen tragen etliche
Mnner zum Schamanen in die Htte. Dieser besingt ihn, bis der entflohene
"Traum" wieder zu ihm zurckkehrt.
Grosse Freude bricht aus, wenn die Lenguas
sehen, dass der Bewusstlose die Augen ffnet. Als der "Starke" wird er
gepriesen, denn nach ihrer Auffassung stirbt der Knabe und aufersteht nun wieder, als
Mann. Man nennt ihn: "Auferstanden ist einer noch ohne Frau" Aplhaticjac
mocjam lhama mepqui apnatamcaa.
Sollte eine "auferstandene"
Jungfrau die Heirat mit dem jungen Mann begehren, so werden die Heiratsmnner darber
informiert und schon wird der Akt des Zusammenfhrens auf dem Tanzplatz ffentlich
vollzogen. Eine spezielle Hochzeitsfeier kannten die Lengua-Indianer nicht.
Das Jungfrauenfest (Mdchen, 15 Jahre alt)
Dieses Fest gehrt zu den wichtigsten Festen
der Lenguas, es stellt den Abschluss der Kindheit fr das Mdchen dar. Es wird mit etwa
13 bis 15 Jahren als heiratsreif erklrt.
Das Mdchen hat von seiner Mutter bis zu
diesem Zeitpunkt alles gelernt, was eine Lenguafrau wissen muss. Wenn sie heiratet, wird
sie weiter in Mutters Haus bleiben.
Lufer, mit Schellen an den Hften, laufen
von Dorf zu Dorf und rufen Yanmana! "Jungfrauenfest", um die
Leute einzuladen. Die Dauer des Festes wird vom Lebensmittelvorrat bestimmt, dauert aber
meist 8 Tage, an denen man isst, trinkt und tanzt.
Am letzten Abend wird das Mdchen besonders
gefeiert. Als "Spinnenteufel" verkleidete Mnner holen das Mdchen in der
Htte der Mutter ab, schleppen es auf den Tanzplatz. Sich abwechselnd tanzen, zerren und
schleppen sie das Mdchen so lange herum, bis es bewusstlos liegen bleibt. Dann wird es
mit kaltem Wasser begossen, ein Mdchen stirbt und eine Jungfrau aufersteht. (Manche
Mdchen sind bei dieser Zeremonie schon gestorben.)
Das Fest ist fr den Lengua deshalb so
wichtig, weil er weiss, dass wenn ein Mdchen die Strapazen auf dem Tanzplatz mit den
Spinnenteufeln besteht und dort nicht stirbt, eine starke und tchtige Frau werden kann,
um als Enlhit "Lengua" bestehen zu knnen.
Am frhen Morgen des nchsten Tages geht
jeder mit seiner Familie wieder nach Hause. Der Mann erhlt wieder seinen Pfeil und
Bogen. Als Beschtzer seiner Familie geht er vornan und die Frau, schwerbeladen, stapft
hinterher.
Das Heiraten
Heiraten ist so etwas wie ein Nebenprodukt
des Jungfrauenfestes. Oft kommt es vor, dass das Lenguamdchen beim Jungfrauenfest
heiraten will. Der Auserwhlte weiss vielleicht noch nichts von seinen Glck. Wenn die
Frauen aber vom Wunsch des Mdchens erfahren, so werden schnellstens die Heiratsvter
benachrichtigt, denn warten kann ein Lengua nicht. "Sie will heiraten" ist die
begeisterte Nachricht.
Das verliebte Mdchen wird von den
Heiratsvtern sofort ergriffen und auf den Tanzplatz getragen. Dasselbe passiert auch mit
ihrem Auserwhlten. Noch nie hat der junge Lengua so ffentlich ganz nahe bei einem
Mdchen gesessen. Die Heiratsmnner ermahnen ihn: "Schme dich dieses Mdchens
nicht, sie liebt dich, und lass dich heiraten!"
Die beiden mssen noch warten, bis auch ihre
Vter von der bevorstehenden Heirat informiert sind. Vielleicht haben sie einen Einwand.
Aber eigentlich liegt die Partnerwahl im Bereich der Tochter und der Mutter.
Der Vater des jungen Mannes macht jetzt aber
eine Szene: Er holt sein Beil springt schreiend unter die Menge: "Wer hat diese
beiden verheiratet?" Die Heiratsmnner lachen ihn nur aus und entreissen ihm sein
Beil und rufen: "Er muss heiraten, er ist erwachsen, er muss eine Frau haben!"
Der Vater beginnt zu weinen und endlich gibt er eine Antwort: "Soll er das Mdchen
haben. Ich bin nicht mehr dagegen. Ich war nur so erschrocken, dass mein Sohn heiraten
sollte. Ich habe ja nichts davon gewusst."
Der Neuvermhlte muss nun noch seine
Tchtigkeit als Lufer unter Beweis stellen. Die Mnner wollen mit ihm um die Wette
laufen. Ruhig lsst der Neuvermhlte die Mnner davonziehen. Als Letzter luft er los,
nimmt eine Abkrzung und kommt wieder als Erster auf den Tanzplatz. Als tchtiger
Schwiegersohn wird er von den Frauen gepriesen.
Dann zieht er in das Haus seiner
Schwiegereltern, wo er sich in deren Sippensystem fgen muss.
(Quelle: "Ich sah der Lengua
Htten" von Gerd G. Giesbrecht) |